Wetterprognose

Albrechts Marokkoreise 2007 PDF Drucken E-Mail
Sonntag, 11. Januar 2009

Montag 28.5.

Was für ein Sauwetter! Zum dritten Mal nacheinander verdirbt es uns den Pfingstmontag und das Stabhochsprung­meeting, aber so schlimm wie dieses Jahr war es noch nie. Von morgens an Dauerregen, dazu empfindlich kühle Temperaturen. Ich haue ab um vier mit der Gewissheit, beim Springen der Stars keine Top-Leistungen zu verpassen, wenn sie denn bei diesen Bedingungen überhaupt noch springen - und mit dem guten Gefühl, heute noch dorthin zu kommen, wo man solches Wetter nur vom Hören­sagen kennt. Albrecht trifft pünktlich ein, ich bin fast fertig. Und wie immer bei einer hektischen Abreise die Frage: Alles eingepackt? Na ja, Pass, Kreditkarte und Fahrrad sind dabei, alles andere kann man zur Not wieder kaufen. Gerade wollen wir mit kleiner Verspätung aufbrechen, da hat meine neue türkische Nachbarin Probleme mit dem Starten ihres Wagens. Bisher habe ich mit ihr noch keine zehn Wörter gewechselt, jetzt beschwört sie uns eindringlich, ihr zu helfen, sie müsse dringend weg. Wir auch! Aber was soll´s, also hier auch noch kurz angepackt: zusammen das Auto aus der Garage geschoben und den Berg hinunter rollen lassen – man wohnt ja aus gutem Grund am Hang. Der Wagen springt zum Glück gleich an, also kann es auch für uns endlich losgehen. Wir wollen über Freudenstadt und den Schwarzwald nach Basel/Mulhouse und sind gerade kurz vor Wart; wer kommt uns da auf dem Bike entgegen im strömenden Regen? Willi Schuster! Wir sind uns einig, der ist auf dem kürzesten Weg nach Hause, und er sieht auch nicht so aus, als würde ihm das Radfahren im Moment noch Spaß machen. Problemlos bis zum Flughafen, wir brauchen unsere einge­plante Reserve nicht. Der Parkplatz ist zwar als voll markiert, die Schranke lässt uns aber trotzdem passieren und wir finden ganz hinten noch einen Platz. Also alles Gepäck auf einen Trolly und ab in Richtung Terminal. 400 Meter – die Wege sind kurz in Mulhouse. Sind sehr früh dran, der Check-In hat noch nicht be­gonnen. Also lassen wir uns erst einmal gemütlich zu einem (französisch-teuren) Bierchen nieder. Albrecht macht die ersten Bilder, und gleich gibt es auch den ersten Ärger. Ein Marokkaner glaubt sich oder seine Fatima fotografiert und quatscht uns aggressiv und französisch an. Er möchte offensichtlich, dass wir die Bilder löschen. Albrecht versucht ihn auf Deutsch lächelnd zu besänftigen, aber der lässt nicht locker, und während mir auch so langsam der Kragen platzt, wird ein Polizist auf uns aufmerksam und fragt, was los sei. Der Marokkaner redet sofort auch auf ihn ein, aber nachdem ich ihm sage, wir hätten uns nur ge­genseitig fotografiert, bedeutet er dem Nordafrikaner, zu verduften. Das kann ja heiter werden für die weitere Reise, aber im Nachhinein war es tatsächlich der einzige Ärger mit einem Marokkaner während des ganzen Urlaubs. Also entwe­der hatten wir einfach Pech, hier auf einen besonders schlecht gelaunten Zeitge­nossen zu treffen oder die europäischen Muslime sind tatsächlich aggressiver und herausfordernder. Erfreulicherweise nimmt Atlas Blue unsere Räder ohne Aufschlag mit, weil wir sonst nicht viel Gepäck haben. Bei der Personenkon­trolle dann der erste Super-Gau der Reise. Ich habe meinen Flachmann mit Wil­liams im Handgepäck und der fällt bei der Durchleuchtung auf. Und aufgrund der Flüssigkeitsbegrenzung heißt es, entweder auf der Stelle leer trinken oder ausleeren. Auch alles Insistieren auf die medizinische Notwendigkeit der Desin­fektion in fremden Weltgegenden hilft nicht. Also ausleeren, wir wollen nicht schon besoffen in Marrakesch ankommen. Unsere Maschine hat auch eine Stunde Verspätung, irgendwie scheint heute nicht unser Tag zu sein. Und zu guter Letzt gibt es dann noch nichts zu essen während des Fluges. Dabei ist die letzte Mahlzeit auch schon wieder zehn Stunden her. Bei 250 Euro Flugpreis pro Mann kann man eigentlich nicht von einem Billigflug reden; da hätte man ei­gentlich eine Mahlzeit erwarten dürfen, und wenn es was Schweinefleischloses gewesen wäre. Immerhin klappt die Einreise problemlos, unsere Räder sind auch da und unser Abholkomitee wartet. Mit ein wenig Mühe bringen wir die Rad­kartons im Kleinbus unter und dann geht es nach Marrakesch hinein. Die Stadt ist noch hell erleuchtet morgens um halb zwei Ortszeit. Die Straßen werden im­mer enger, schließlich hält der Bus und die letzten dreißig Meter geht es zu Fuß in ein enges Gässchen zwischen hohen Mauern hinein. Wir werden erwartet und  fühlen uns wie in 1001 Nacht. Von außen nur eine kahle Mauer, erwartet uns im Innern ein prächtiges Haus im marokkanischen Stil, ein sogenanntes Riad. Wir bekommen ein orientalisches Zimmer, in dem wir ziemlich schnell müde ins Bett fallen und ausgezeichnet schlafen.

 

Dienstag, 29.5.
Sehr gutes Frühstück um halb neun auf der Dachterrasse bei angenehmen 25 Grad. Da ist man schon wieder froh über den Sonnenschirm und denkt mit leichter Schadenfreude an das deutsche Wetter. Die einzigen anderen Gäste des Hauses kennen gelernt, ein Pärchen aus München – er Amerikaner, die sich ein verlängertes Wochenende Marrakesch gönnen. Anschließend aufgebrochen zu einem ersten Stadtrundgang, versehen mit den notwendigsten Erklärungen, wie wir uns zu­rechtfinden können und einer Visitenkarte unseres Riads, für alle Fälle. Wir fin­den problemlos zum Zentrum, dem Platz der Gaukler, auf dem jetzt noch nicht viel los ist, und von dort weiter zum Busbahnhof, wo wir die Tickets für den Bus morgen kaufen. Zurück am Gauklerplatz, erst einmal kleine Teepause, bevor wir uns in die Souks stürzen. Albrecht will unbedingt die Metallbieger wieder finden, die ihn bei seinem letztjährigen Besuch so begeistert dern planlos durch das Gassengewirr und wissen bald nicht mehr, wo wir sind. Albrecht lässt sich zwischendurch die Haare schneiden. Irgendwann finden wir dann zurück zum Gauklerplatz. Jetzt ist der weitere Heimweg kein Problem mehr und mit Erstaunen stellen wir fest, dass unser Friseur nur etwa 300 Meter von unserem Riad entfernt lag und wir daran vorbeispaziert sind, ohne es zu merken. Zusammenbau der Räder. Dabei erste Schreck­sekunde, mein hinterer Zahnkranz lässt sich nicht mehr drehen. Kurze Panik, dann ein Versuch mit Gewalt: es geht, wenn auch etwas schwerer als normal. Oder ist das nur Einbildung? Egal, hilft ja eh nicht, hier werden wir keinen kompetenten Radmechaniker finden. Anschließend wieder ein Tässchen Tee auf der Terrasse. Unsere Mitgäste liegen in der Sonne und lesen – so lässt es sich aushalten. Wir stürzen uns gegen Abend wieder ins Gewühl der Altstadt zum Abendessen. Gleich vor dem Riad werden wir mal wieder angesprochen, von einem Marokkaner, der nach eigenen Angaben früher beim Paulaner in München gear­beitet hat und sich natürlich sehr gerne an seine Deutschlandzeit zurückerinnert. Letztendlich will er Geld für angebliche Medikamente. Wir beschließen, da man uns offenbar den Deutschen schon von weitem ansieht, zukünftig als Schweizer zu firmieren, in der Hoffnung, dass dort noch nicht so viele Marokkaner arbeiten waren. Mitten auf dem riesigen Gauklerplatz ist jetzt ein Viereck nur mit Essen­ständen gefüllt, jeder Stand umgeben von Tischen für seine Gäste. Das Angebot ist umfassend, von Fisch bis zu Innereien gibt es alles, und fast alles wird ge-grillt – mit entsprechender Rauch- und Geruchsentwicklung. Das Ganze hat starken Folklorecharakter und dementsprechend sieht man fast nur Touristen. Entschei­den uns für Bekanntes: Fleisch am Spieß mit diversen Beilagen – leider schmeckt es nicht besonders, ist dafür aber fantastisch teuer: 185 Dirham, das sind etwa 18,50 Euro. Anschließend drehen wir noch einmal eine Runde durch die Souks, bevor wir uns an der Promenade noch zu einem Tee niederlassen, um das ganze Treiben in Ruhe zu beobachten. Gegen halb elf daheim.

 

Mittwoch, 30.5. 75 Km, 660 Hm

Pünktlich gegen neun Aufbruch, herzlich verabschiedet von unseren Wirtinnen; unseren Reiseorganisator Assiz? haben wir bisher nicht gesehen. Wieder blo­ckiert mein Ritzel hinten und lässt sich erst mit Gewalt bewegen. Das kann ja heiter werden. Wir lernen schnell, dass man in den Souks am schnellsten durch­kommt, wenn man sich hinter ein dauerhupendes Moped klemmt und im Wind­schatten bleibt. Albrecht fällt auf mit seinem wie ein Schlagstock aus dem Rucksack ragenden Farrenschwanz. Am Busbahnhof müssen wir für die Räder nachzahlen, die werden beim Busfahrer separat fällig; alle Diskussionen, wir hätten auch die Räder bereits gestern bezahlt, nutzen nichts. Die Räder kommen aufs Dach, die Verladung ist eine Riesenaktion. Aufs Dach kommt man nur über die hintere Bustür, deren offenes Fenster man als Tritt nutzen muss. Für das Dachgepäck gibt es einen eigenen Verantwortlichen, der natürlich auch ein Trinkgeld will. Wir selbst dürfen nicht mit rauf. So müssen wir von unten mit Händen und Füßen dirigieren, dass entsprechend vorsichtig mit unseren Heilig­tümern umgegangen wird – zur Belustigung und unter reger Anteilnahme aller anderen Mitfahrer. Endlich sind sie sicher verstaut, das Gepäcknetz ist ver­schnürt, wir wollen gerade starten, da kommen späte Mitreisende mit großem Gepäck, das aufs Dach muss und das ganze Prozedere geht von vorn los. Und alles mit einer Gemütsruhe; hier wird niemand ungeduldig, niemand pocht auf einen Fahrplan. Mit gehöriger Verspätung geht’s dann endlich los, nur um drei Kilometer weiter den ersten Stopp an einer Tankstelle zu machen. Der Bus ist gut voll, wir kommen ins Gespräch mit einem Pärchen Australier, die in Eng­land studieren und den Aufenthalt nutzen, um sich auch in Afrika umzusehen. Wir kommen mit Englisch wunderbar zurecht, einzig als Albrecht versucht zu erklären, was ein Farrenschwanz ist, wird es ein bisschen schwierig und er erntet ungläubige Blicke. Der Bus hält auch unterwegs des Öfteren, wobei uns das System nicht ganz einleuchtet. Haltestellen gibt es sowieso nicht: Wer mit will,  steht am Straßenrand und winkt. Der Bus wird dann langsamer und manchmal hält er und manchmal nicht. Nach welchen Kriterien, erschließt sich uns nicht. So langsam geht es ins Gebirge; die Straße wird enger, kurviger, die Bö­schungen tiefer. Albrecht trägt es noch mit Fassung. An unserem geplanten Aus­stieg auf halber Höhe macht der Bus eine längere Pause. Wir überlegen, ob wir angesichts unserer Verspätung nicht bis auf die Passhöhe mitfahren sollen. Alb­recht kommt ins Gespräch mit dem Ortsmetzger und berichtet, der sei auch Rad­fahrer und fahre ein Rennrad mit Shimano-Schaltung. Aha! Bis zur Passhöhe sei es nach dessen Aussage nicht mehr weit und nur noch 200 Höhenmeter. Ich bin etwas skeptisch, laut Karte ist es noch erheblich mehr. Wir diskutieren hin und her und einigen uns schließlich darauf, es am ersten Tag gemütlich anzuge­hen und noch bis zur Passhöhe im Bus zu bleiben. Was wir nicht bereuen: Die Karte hat nicht gelogen, es sind dann doch noch 600 Höhenmeter und fast 15 Kilometer bis hinauf. Der Ausstieg geht blitzschnell, innerhalb von 5 Minuten haben wir unsere ganze Ausrüstung und schauen dem weiterfahrenden Bus hin­terher. Ist nicht viel los hier oben; ein paar verlorene Verkaufsstände mit Töp­ferwaren und ein paar Hunde, die müde herumliegen. Also schnell anziehen, ein Beweisfoto vor dem Tizi-n-Tichka-Schild – zum Glück hält gerade eine italieni­sche Reisegruppe, die einen Photo bedienen kann – und dann geht’s los. Bergab mit Rückenwind, sehr angenehm. Kaum sind wir von der Hauptstraße abgebo­gen, ist erst einmal die erste Pinkelpause fällig. Nebenstraße in Marokko heißt: Meistens geteert, manchmal nicht, oft Geröll auf der Straße und der Ver­kehr ist an einer Hand abzuzählen. Die erste Gegensteigung bringt Albrecht ganz schön ins Schnaufen – fast wie bei der ersten Frühjahrstour. Nach 25 Ki­lometern be­schließen wir in einem Örtchen eine kleine Pause. Unser Teewunsch löst Be­triebsamkeit im Ortscafé aus; wir sind sicher die ersten Gäste heute, wenn nicht in der ganzen Woche. Albrecht findet es sehr gemütlich hier und hat es gar nicht eilig. Auch anschließend sind ihm die ersten Kasbahs, die wir sehen  und seine Fotos wichtiger als ein zügiges Vorwärtskommen. Das rächt sich, als die Teer­straße aufhört und in einen schlechten Feldweg übergeht. Zwar geht’s jetzt ei­gentlich talabwärts und das Tal entpuppt sich auch als sehr schön und links und rechts des Flusses als sehr grün. Aber auch als sehr eng, der Weg führt deshalb leider oben an der Höhe entlang, immer auf und ab. Landschaftlich fühlt man sich fast wie im Südwesten der USA – auch die Kasbahs, die zum Teil nestartig an die Talwände gebaut sind, erinnern in Lage und Bauweise an die dortigen Indianerpueblos. Wir überholen flott einen alten Nissan, müs­sen dann aber an einer Brücke wieder auf ihn warten, um den richtigen Weg zu erfragen. Anschließend wieder staubschluckend hinter ihm her, bis sich eine Gelegenheit zum Überholen bietet. Der kann hier nur mit 7 km/h hinuntergon­deln, wir dage­gen schaffen immerhin flotte 11 – 12 km/h. So geht das über 30 Kilo­meter, immer über groben Schotter. Aus den vereinzelten Häusern am Wegrand kommen die Kinder angerannt und betteln uns an, schreien „Stilo“ oder „Dirham“ und ver­suchen, einen abzuklatschen. Wir lernen schnell, den Kindern ir­gend etwas auf Deutsch zuzurufen. Das überrascht sie so, dass sie meist zögerlich werden. Zwischendurch dann auch die erste Begegnung mit den ge­fürchteten marokkanischen Kötern. Zwei Stück kommen wild bellend und knur­rend den Hang herunter gelaufen. Runter vom Rad und einen Stein aufgehoben ist eins. Der Wurf trifft zwar nicht, die Hunde aber ziehen sofort den Schwanz ein und Leine. Mit Steinen haben die offensichtlich schon öfter Bekanntschaft gemacht. Also alles halb so wild. Mehr Sorge macht uns, dass es so langsam Nacht wird. Albrecht ist noch immer sehr gelassen; das einzige Auto, das uns überholt, lassen wir deshalb ziehen, obwohl wir seine Scheinwerfer vor uns gut hätten gebrauchen können. Wir kommen wieder an einigen Kasbahs vorbei, sind aber noch immer nicht am Ziel. Stattdessen müssen wir in einer Furt noch mal den Fluss überqueren und Albrecht stürzt im tiefen Sand. Zum Glück nur Auf­schürfungen. Kurz nach halb neun sind wir endlich am Ziel, die letzen 7 km bei stockdunkler Nacht, wenn auch zum Glück wieder auf Teer. In unserem Quar­tier werden wir schon erwartet, wir lehnen die Einzelzimmer ab und beziehen ein kleines Doppelzimmer. Funktionierende Duschen, herrlich. Die Räder brin­gen wir im Nebengebäude sicher unter; einer ausgiebigen Nachtmahlzeit  steht nichts im Wege. Wir entscheiden uns für Tajine mit Huhn, eine ausge­zeichnete Wahl. Dazu 3 Liter Wasser, an das marokkanische Klima müssen wir uns erst gewöhnen. Sind die einzigen Gäste im Haus.

zwischen Telouet und Ait Benhaddou

zwischen Telouet und Ait Benhaddou

 

Donnerstag, 31.5. 86 Km, 445 Hm

Frühstück auf der Terrasse, es gibt Brot, Butter und Marmelade, dazu Kaffee, Tee und Orangensaft. Nicht ganz mit Marrakesch zu vergleichen, aber ausrei­chend. Fünf Minuten bis nach Ait Benhaddou, einer der größten und imposan­testen Kasbahs von Marokko. Überragt von einer alten Festung auf dem Berg wird die Kasbah auch heute noch von einigen Familien bewohnt, aber insgesamt nicht mehr gepflegt und repariert. Jeder Regen wäscht die Lehmkonstruktion mehr aus und zerstört sie. Wie sie wohl in 20 Jahren aussehen wird? Wir ver­zichten auf die Besichtigung von innen und rollen stattdessen gemütlich talabwärts, bis wir wieder auf die Hauptstraße treffen. Hier unten ist kein Grün mehr zu se­hen, jetzt sind wir in der Wüste. Weiter bis Quarzazate, wo wir unseren Mittags­kaffee trinken. An der Tankstelle am Ortsende noch einmal Wasser gefasst, dann geht’s wieder hinaus in die Einöde. Drückend heiß, Albrecht beklagt ir­gendwann den baldigen Hitzestich. Wir steuern das nächste Café an. Wie immer gibt es den einen obligatorischen Marokkaner, der ein wenig Deutsch kann, wie immer fragt uns der Wirt, wo wir übernachten wollen und wie immer hat er auf unsere Antwort ei­nen besseren Tipp für uns parat. Auch einige einheimische Handwerker halten mit ihrem Bus und machen eine kleine Pause. Wir sehen hier zum ersten Mal einen vorschriftsmäßig betenden Moslem, sein Kollege nutzt die Pause stattdes­sen zu einem kleinen Schläfchen im Schatten. Endlich erreichen wir das Tages­ziel Skoura, jetzt gilt es nur noch unser vorreserviertes Quartier zu finden. Wir radeln fast durch den ganzen Ort, sehen aber kein Hinweisschild. Kurz vor dem Ortsausgang fragen wir den Erstbesten, worauf wir wieder ein anderes Hotel angeboten bekommen. Endlich hilft uns der örtliche Polizeiposten weiter. Es sind noch einmal acht Kilometer um den Ort herum und über einen Feldweg ohne Beschilderung von hinten wieder rein. Wir suchen ewig, aber es lohnt sich. Unser Quartier ist eine richtige Kasbah mit Beduinenzelt vor dem Haus, wo wir erst einmal den Begrü­ßungstee trinken. Anschließend wird das Hamam für uns angeheizt, wir waschen solange unsere Radklamotten. Ich leider ein bisschen mehr als das, mein Sham­poo hat sich dummerweise im Rucksack verteilt. Ausgezeichnet gegessen, insbesondere die Vorspeise mit dem Salat aus dem eigenen Garten war Spitze. Wunderbar geschlafen in der kühlen Kasbah – wenn auch nicht im Bett, so immerhin auf Matratzen.



Freitag, 1.6. 92 Km, 650 Hm

Leider haben wir gestern Abend einen Fehler gemacht und den Preis nicht vor­her verhandelt. Unser Wirt will zuerst 70 Euro pro Person. Wir erklären ihn für verrückt und beginnen zu feilschen. Letztendlich zahlen wir dann 60 Euro zu­sammen, was immer noch viel zu viel ist. Anschließend wieder die acht Kilo­meter zurück bis zur Hauptstrasse. Gut mit Wasser versorgt, jeder packt drei Liter ein, dann weiter auf die Strecke. Kein Schatten weit und breit, nur Wüste. Man sieht keine Menschenseele, etwa alle fünf Kilometer begegnet einem ein PKW oder ein LKW. Und das ist eine Hauptverbindungsstraße. Das Thermo­meter steigt heute bis auf 44 Grad, es wird jeden Tag ein bisschen heißer. End­lich führt die Straße wieder zum Flussbett des Dadès, es wird grün und das Le­ben kehrt zurück. Hier, wo Wasser ist, folgt eine Ansiedlung der nächsten und überall springen Kinder in rauen Mengen herum. Alle sehr freundlich und alle fragen nach einem Stilo. Nach 50 km halten wir erste Rast und Mittag in El-Kelaa: eine Stunde Schatten mit heißem Tee und kaltem Wasser. Anschließend weiter im Dadèstal, wo sich weiter eine Ortschaft an die andere anschließt. Alles er­möglicht durch den Fluss. Nach weiteren 25 km in Boumaine-du-Dadès. Rast gleich im ersten Café, in den Ort geht’s bergauf. Der Junge im Café bietet auch Bier an. Albrecht kann nicht widerstehen, obwohl wir den ganzen Tag noch nichts ge­gessen haben. Aber die Besorgnis ist umsonst, es kommt ein kleines kühles Glas Bier, zwar marokkanisches, aber unter den Umständen wohl sehr gut trinkbar, wie dem behaglichen Gegrunze meines Gegenübers zu entnehmen ist. Das endet erst, als er den Preis erfährt: 40 Dirham oder 4 Euro. Natürlich will uns der Junge bewegen, hier zu nächtigen, unter anderem mit der Aussage, dass erst gestern ein deutsches Pärchen auch mit dem Rad hier übernachtet habe. Ob wir ihm glauben sollen? Der einzige ausländische Radfahrer, den wir bisher gesehen haben, war offensichtlich ein Globetrotter (Satteltaschen vorn und hinten), der uns auf dem „Dadèstal-Highway“ entgegenkam. Es soll bis Tourenende auch der Einzige bleiben. Die jungen Einheimischen sind total begeistert von Giselas selbstgebackenen Nussriegeln. Es ist 15.30 Uhr; wir essen die ersten Riegel des Tages; man hat einfach keinen Hunger bei der Hitze. Erst als wir wieder unter­wegs sind, fällt Albrecht ein, dass dies eine gute Gelegenheit gewesen wäre, sich von einem Teil seiner überreichlichen und schweren Verpflegung zu trennen. Wir biegen in die Dadès-Schlucht ein und fahren diese aufwärts. Starke Windungen. Der Fluss hat hier etwa so viel Wasser wie die Nagold im Sommer. Die Einhei­mischen haben sich an den steilen Wänden in den Naturhöhlen verkrochen, um Schatten zu finden, man erkennt das jeweils an den Fahrrädern, die herrenlos am Straßenrand stehen. Nach acht Kilometern kommt unsere Herberge. Diesmal zum Glück nur etwa 100 Meter abseits der Straße. Haben dort einen herrlichen Blick übers Tal, unter anderem auf die Kasbah auf der anderen Talseite, die wie eine Burg auf der Bergspitze thront und heute ein Hotel ist. Auch hier sieht es wieder so aus wie in New-Mexico. Die Tafelberge könnten auch im Monument Valley stehen und die Abendsonne überzieht die ganze Land­schaft mit einem unglaublichen Abendrot. Unsere Aubèrge hat Europastandard – auch was den Preis angeht: 20 Euro pro Person für Halbpension. In Boumaine im Café hatte uns der Junge die Übernachtung für ein knappes Zehntel davon angeboten, wie die sanitären Einrichtungen dort gewesen wären, wollen wir uns lieber nicht ausmalen. Im Gästebuch hier -  auch viele Deutsche haben sich eingetragen – wird ins­besondere das Essen gelobt. Wir dürfen in der guten Stube essen und sind ge­spannt: Es gibt wieder Tajine: Sehr gut, aber wir haben bisher schon genauso gut gegessen.

 

 

Samstag, 2.6. 53 Km, 830 Hm
Frühstück bescheiden, Butter, Marmelade und Streichkäse. Aber frisches, selbstgebackenes Fladenbrot, das sehr gut schmeckt. Weiter Dadès aufwärts: ein ständiges Auf und Ab, das uns kaum Höhe gewinnen lässt. Das enge Flusstal ist sehr fruchtbar und wird bis auf den letzen Fleck intensiv genutzt, zur Holzge­winnung und zum Gemüseanbau: viel Kartoffeln und Getreide. Die Häuser ste­hen deshalb immer knapp außerhalb des Talbodens, um nur ja kein fruchtbares Land zu verschwenden. Für die Feldarbeit sind offensichtlich die Frauen zustän­-  dig; der Hausbau dagegen ist Männersache. Gedroschen wird hier wegen der kleinen Anbauflächen noch überwiegend von Hand. Man sieht zwischendurch immer mal wieder kleine ebene Plätze, manchmal betoniert, die dazu dienen. Gewaschen wird direkt im Fluss, den die Kinder auch intensiv zum Baden nut­zen. An der engsten Stelle des Tales hat nur noch der Fluss Platz, die Straße windet sich in Serpentinen knappe 150 Höhenmeter den Hang  hinauf, nur um auf der anderen Seite wieder abzufallen. Wir haben uns mittlerweile ein ge­mächliches Marokko-Radtempo angewöhnt, den Temperaturen angemessen. Mit­tagsrast in einem Café/Hotel direkt am Fluss. Von  der Terrasse könnte Helmut direkt einen Gombensprung in den zehn Meter tiefer fließenden Dadès machen. Im engen Tal ist es fast stürmisch. Noch einmal Rast im Schatten eines großen Feigenbaumes, bevor es dann wirklich aufwärts geht ins Gebirge. Neben der knapp fünf Meter breiten Straße ist es jetzt schon ganz schön abgründig und Albrecht wird es langsam mulmig. Als ein 500 Meter langes Teilstück kommt, das direkt in den Steilhang gefräst ist, schiebt er lieber. Ich fahre vornweg, damit er gar nicht auf die Idee kommt, zu diskutieren, ob er hier noch weiterkönne. Auf 2000 Meter erreichen wir unser Tagesziel Msemrir. Eine Dorfstraße und keine große Auswahl an Hotels, oje! Lassen uns erst einmal zu einem Tee nie­-der, anschließend inspiziert Albrecht alle drei Hotels und meint, das am we­nigsten schlechte sei das hier und so bleiben wir, wo wir sind. Die immerhin funkti­onierende Dusche ist nichts für Ästheten und das Betätigen der Klospülung setzt das Bad unter Wasser, ansonsten kann man es aushalten. Wir kommen ins Ge­spräch mit einem Einheimischen, der als Wander- und Tourenführer arbeitet und uns ein bisschen was über die Gegend erzählt, die touristische Entwicklung und die Highlights, über die Veränderungen durch das Internet, aber auch über die nach wie vor bescheidenen Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für die Jugend. Im Ort ist noch einiges los, es ist Samstag und heute war großer Wo­chenmarkt. Deshalb also die vielen Mercedes-Transporter, die uns gegen Abend vollbeladen auf der Straße entgegenkamen. Der Markt ist vor allem für die No­maden der Gegend, die hier ihre notwendigen Nahrungsmittel einkaufen und im Gegenzug ihre landwirtschaftlichen und handwerklichen Erzeugnisse verkaufen. Im Hotel ist heute Abend jeder Platz besetzt, überall wird Karten gespielt. Im Restaurant daneben, wo wir zu Abend essen – heute zur Abwechslung Cous-Cous –, läuft der Fernseher, ein Fußball-Länderspiel, und auch hier ist jeder Platz be­setzt. Die Jugendlichen ziehen in Gruppen die Straße rauf und runter und ma­chen Musik – aber wenigstens noch mit eigenen Instrumenten und nicht aus dem Ghetto-Blaster. Unser neuer Bekannter erzählt uns, dass es dieses Jahr hier oben sogar fast zwei Monate Schnee gehabt habe, es sei ein ungewöhnlich langer Winter gewesen. Ab 10 Uhr wird es dann so langsam ruhig auf der Straße, dafür setzen bald alle Hunde des Ortes das Konzert mit ihrem Gebelle fort. Wie bisher immer sind wir die einzigen Gäste im Hotel.

Dades Schlucht von oben

Dades Schlucht von oben

Ernte bei Msemrir

Ernte bei Msemrir

 

Sonntag, 3.6. 83 Km, 910 Hm

Endlich wieder Erdbeermarmelade zum Frühstück! Ansonsten alles wie gehabt,  alles in allem O.K. Um 8.10 Uhr brechen wir auf. Albrecht verschenkt wieder Verpflegung. Wie immer kein Wegzeiger zu sehen. Nach einigen Kilometern kommen wir an einem riesigen Getreidefeld vorbei, auf dem offenbar ein ganzes Dorf mit der Ernte beschäftigt ist, einschließlich Kinder sind es mindestens 200 Personen, die da in reiner Handarbeit bei der Arbeit sind. Weil hier der Weg abzweigt, fragen wir auch gleich nach der Richtung und werden in die Berge verwiesen, obwohl wir uns kaum verständlich machen können. Sind deshalb lange nicht sicher, ob wir richtig sind, vor allem als der Weg zu einer bloßen Rei­fenspur schrumpft, die sich das trockene Bachbett hinaufwindet. Der Schnitt sinkt an­gesichts des groben Schotters auf 5 - 7 Stundenkilometer. Wenigstens ist die Temperatur hier oben erträglich. Nach 19 Kilometern und 3 Stunden erreichen wir schließlich die Passhöhe, die laut Höhenmesser nur 2.591 Meter hoch ist und nicht 2.800 Meter, wie meine Karte und die Einheimischen in Msemrir behaup­tet haben. Die einzigen Menschen, denen wir bis hierher begegnet sind, waren drei muliberittene Beduinen, die eine Ziegenherde den Hang entlang treiben und von Ferne freundlich grüßen, und ein Methusalem, der uns, ebenfalls beritten, auf dem Weg entgegenkommt und statt einer Begrüßung die Hand rausstreckt und „Dirham“ krächzt. Die Abfahrt ist anfangs O.K., geht aber bald wieder in ein Bachbett über und manchmal ist der Weg ganz weggeschwemmt. Zahlreich jetzt die Beduinenherden, auch vereinzelte Zelte sind zu sehen, die aber mit ih­ren Steinmauern fast schon stationären Charakter haben. Die Kinder wie immer neugierig. Ein letzter großer Gegenanstieg bringt ob seines Panoramas und sei­ner beeindruckenden Abgründe Albrecht noch mal ins Schwitzen, bevor wir dann mit einer steilen Abfahrt Tamtattouchte erreichen und mit ihm die Teer­straße der Todraschlucht und die Zivilisation. In Tamtattouchte erst einmal die obligatorische Teepause und Wassernachschub. Dann  geht’s die Todraschlucht hinab, die auf ihren 18 Kilometern Länge immer steiler und beeindruckender wird. Auch hier haben die Frühjahrshochwasser der Straße schwer zugesetzt. Mehrmals ist eine Fahrspur komplett weggeschwemmt, die Fehlstelle nur mit ein paar Steinen markiert. Wer hier nicht aufpasst, liegt zehn Meter tiefer im Bachbett. Die engste Stelle kommt dann kurz vor dem Ende. Das Tal verengt sich auf vielleicht 20 Meter, die Seitenwände steigen sicher 200 Meter senkrecht an – und es geht zu wie im Souk von Marrakesch. Offensichtlich ist das hier das Naherholungsgebiet von Tinerhir. Die Straße, der Fluss, der im Moment mehr ein Bach ist, überall wimmelt es von Menschen. In Tinerhir finden wir ein rela­tiv neues Hotel an der Hauptstraße. Auf der Dachterrasse gegessen, einen guten Salat, anschließend Omelette Berber, und Bier gibt’s auch. Danach kleiner Rundgang durch die Stadt. Wieder werden wir angesprochen, auch unsere Schweiznummer zieht nicht, einer der beiden war Koch in der Schweiz, der andere hat schon in Langenscheid gelebt. Ganze nette Unterhaltung aber natürlich sol­len wir am Ende noch mit in Ismaels Laden kommen. Nur gucken! Ein Strom­ausfall, der dann zwei Stunden anhält, rettet uns. Wir genießen die Dunkelheit und den herrlichen Sternenhimmel auf unserer Dachterrasse und nach der Rück­kehr des Stroms kann Albrecht auch noch sein Internet-Café aufsuchen. Im Zimmer nachts 27 Grad. Schlecht geschlafen.

 

no name-Pass zwischen Msemrir und Tamtattouchte

no name-Pass zwischen Msemrir und Tamtattouchte

vor Tamtattouchte

vor Tamtattouchte

Todhra-Schlucht

Todhra-Schlucht


Montag 4.6. 56 Km, 907 Hm

Hey, zum erstenmal sind wir nicht allein im Hotel, wie wir beim Frühstück fest­stellen. Wieder haben wir Probleme, die richtige Abzweigung zu finden. Hier geht überhaupt kein richtiger Weg links ab in Richtung Jebel Sarhro, sondern nur viele parallele Autospuren im Sand. Wir überlegen, ob wir nicht doch die andere, längere, aber laut Karte bessere Route nehmen sollen, versuchen dann aber unser Glück und kommen glücklich bis in einen Ort am Fuß des Gebirges. Dort halten wir einen entgegenkommenden LKW an und der Fahrer bestätigt uns auf unserem Weg. Anfangs kommen wir gut voran, es geht über den ersten kleinen Pass. Das Hochtal danach wird mittels Brunnen bewässert, deren einfa­che alte Motoren Albrecht begeistern. Dann geht’s wieder durch ein Bachbett weiter, wir kommen kaum voran und müssen zeitweise schieben. Nach dem zweiten Pass geht’s wieder etwas besser, 7 km/h sind möglich. Drei Jeeps klet­tern an uns vorbei und lassen uns Staub schlucken. Unsere Karte ist hier einfach zu ungenau, wir können die einzelnen Abzweige nicht richtig einordnen. Zum Glück sind es nicht viele. Der Kompass hilft uns ein wenig, aber als wir gar nicht mehr weiterwissen und ratlos vor Karte und Kompass stehen, kommt – als erster Mensch seit zwei Stunden, den wir treffen – ein Mopedfahrer angetuckert und zeigt uns die richtige Richtung. Immerhin sind wir jetzt auf der Hochebene und es ist einigermaßen eben, wenn auch bei starkem Gegenwind. Geologisch sieht es hier mit den vielen unterschiedlichen Gesteinsarten und –formationen sehr interessant aus; nicht umsonst sind in den Karten des Jebel Sarhro so viele Bergwerke eingezeichnet. An einem davon kommen wir vorbei: ein senkrechter Stollen von einem Quadratmeter Durchmesser, eine Leiter, ein Flaschenzug und ein großer Kompressor, das ist alles. Wasser gibt es hier oben wieder mehr, wir passieren einen kleinen Stausee und müssen per Furt auch wieder einen kleinen Fluss durchqueren. Es geht bergab, ein bisschen Schwung kann eigentlich nie schaden – außer es kommt tiefer Sand. Nur mit viel Glück und um den Preis ei­nes nassen Schuhs lässt sich der Sturz vermeiden. Wo Wasser ist, da sind auch Häuser und wo Häuser sind, da sind auch Kinder. Albrecht pumpt einem den platten Reifen wieder auf, ein anderer, etwa 14 Jahre alt, will sich mit uns auf Englisch unterhalten, weil er das auf dem Internat in Boumaine lernt. Im nächs­ten Bergdorf machen wir die obligatorische Teerast und erfahren mehr zufällig, dass dies unser vorgesehener Übernachtungsort Ignoun ist. Die laut Karte ein­zige Aubèrge hat zu und zwar dauerhaft, wie uns der einzige Einheimische, der Französisch spricht, versichert. Er erklärt uns, auch im ersten Stock des Cafés könne man schlafen. Ein skeptischer Blick nach oben, von der anschließenden Besichtigung bestätigt: ein Loch. Aber wir haben keine Wahl, der nächste Ort ist 60 Km weiter. Unser Dolmetscher will uns zu sich nach Hause einladen, aber das sei sechs Kilometer außerhalb und zwar in der Richtung, aus der wir kom­men. Wissen nicht recht, was wir davon halten sollen und bleiben lieber im Ort. Das scheint ihn ein wenig zu verstimmen; er vermittelt uns aber wenigstens noch ein Abendessen und verschwindet anschließend. Da sitzen wir dann und harren der Dinge, die da kommen. Wenigstens ist um uns rum das Dorfleben interessant, wir sitzen quasi am Marktplatz. Nebenan ist die Tankstelle, gegen­über der Gemüseladen, es ist ganz schön was los. Alle am Ort fahren anschei­nend Yamaha-Mopeds, die müssen hier einen tüchtigen Verkäufer haben. Ge­tankt wird literweise, eingefüllt mit einer Plastikwasserflasche. Riesenkohl­dampf, aber wir können uns mit unseren Wirten, zwei Brüdern, nicht verständi­gen und so warten wir 2 ½ Stunden auf das Essen und wissen nicht, was es gibt. Es ist mal wieder Tajine, aber diesmal ohne Gemüse, nur fettes Hammelfleisch und ein paar angebrannte Zwiebeln. Das Essen passt zum Quartier, wir essen reichlich Brot und verziehen uns gegen neun nach oben in unser Quartier. Die Dusche fällt heute aus, man muss sich schon zum Pinkeln überwinden. Haben unsere Räder mit nach oben genommen und denken eigentlich, dass wir das Stockwerk für uns haben. Aber irgendwann spät kommen auch die Brüder nach oben und beziehen den Nebenraum. Abschließbar ist hier nichts und so lege ich vorsichtshalber Taschenlampe und Pfefferspray parat. Trotzdem schlecht ge­schlafen, nicht nur wegen dem lauten Hundegebell.

von Tinerhir nach Ikhnoun

von Tinerhir nach Ikhnoun

Dienstag 5.6. 102 Km, 650 Hm


Morgens ab vier geht vor dem Haus schon wieder der Krach los, mit dem ersten Ruf des Muezzin. Obwohl man eigentlich auf dem Land nicht den Eindruck hat, als seien die Menschen hier besonders religiös. Offensichtlich ist heute Markt, alle paar Minuten trudelt ein Mercedes-Transporter im Ort ein und lädt seine Passagiere, die zum Teil auf dem Wagendach sitzen, aus. Wir lassen Ignoun ge­gen 7 Uhr hinter uns, ohne Frühstück. Es geht wieder bergauf, nach 5 Km kommt eine Abzweigung, die wir laut Karte vielleicht nehmen müssten. Und siehe da, nach einigem Suchen finden wir sogar einen Wegzeiger, der uns das bestätigt. Er ist aber nur zu erkennen, wenn man aus der Gegenrichtung kommt.  Es geht weiter bergauf, teilweise sehr steil, aber fahrbar. Schließlich erreichen wir die Passhöhe. Auch hier stimmt die Karte nicht. Waren wir beim letzten Mal 200 Höhenmeter niedriger als angegeben, sind wir jetzt 150 höher, auf 2.311 Meter. Es gibt sogar ein Pass-Restaurant. Ob hier viel los ist? Eine landschaft­lich schöne, aber einsame Gegend. Jetzt geht es 800 Höhenmeter bergab. Der Weg ist so grobsteinig, dass wir kaum mehr als 15 km/h schaffen. Außerdem kommen uns immer noch Transporter entgegen, die auf dieser haarsträubenden Piste, bis zum äußersten beladen, auf dem Weg zum Markt sind. Unten ange­kommen rasten wir erst einmal bei Tee und Cola und gönnen uns einen Riegel. Von hier sind es noch 29 Km bis in den nächsten Ort, nach N’kob. Es geht ein schönes Tal vor – mit dem obligatorischen Gegenwind. Auf dem Weg einige Wasserlachen, in denen es schwarz wuselt. Zigtausend Kaulquappen. Ob die es hier wohl bis zum Frosch schaffen? Schließlich wird das Tal so eng, dass der Weg auf die Hochfläche ausweicht. Oben eine wahre Mondoberfläche, hier wächst gar nichts mehr, eigentlich nur nackter Fels in den unterschiedlichsten Farben. Die Strecke führt bei drückender Hitze im Halbkreis, endlich kommt N‘kob in Sicht. Wir sind ziemlich erschöpft und Albrecht scheitert nach der let­zten Steigung an der Asphaltkante und stürzt. Wenigstens ist bei der Hitze kei­ner auf der Straße, also keine Zeugen. Wir suchen den Schatten des ersten Cafés und lassen uns nieder. Aufmerksame und sehr freundliche Bedienung, offen­sichtlich Vater und Sohn. Ein Linienbus hält zur Rast, auf dem Dach ca. 30 Rä­der im Ge­päcknetz. Die Gäste besetzen die freien Tische, einige bringen ihr ei­genes Fleisch mit und lassen es hier grillen. Gegessen wird mit der Hand, nur mit der rechten. Das ist ein wenig ungeschickt und hinterlässt immer deutliche Spuren und Reste auf dem Tisch. Drei besonders coole junge Marokkaner lassen sich beim Bestellen soviel Zeit, dass sie ihr Essen erst in dem Moment bekommen, als der Busfahrer schon wieder zur Weiterfahrt hupt. Jetzt bricht Hektik aus, das Fleisch wird zusammen mit dem Brot in Zeitungspapier verpackt und dann rennen die Drei zum schon anfahrenden Bus. Das sieht gar nicht mehr cool aus. Wir haben noch knapp 40 Km bis ins Drâa-Tal. Der Gegenwind bleibt, aber wenigstens fahren wir wieder auf Magadam. Werden von hinten überholt, ein Traktor mit einer dieser Dreschmaschinen Marke „Super Istanbul“. Ein idealer Windschat­ten und die Geschwindigkeit von knapp 40 km/h ist auch O.K. Leider verliert er bei der schnellen Fahrt ständig seine Stroh- und Kornschnipsel, die uns bald überall auf der Haut jucken. Nach 10 Kilometern wird es Albrecht zu viel, wir lassen abreißen. Auch weil wir denken, wir sind fast da. Aber leider macht die Straße noch einmal eine große Schleife und so quälen uns noch einmal 10 Kilo­meter Gegenwind, bevor wir endlich den Drâa erreichen. Wir haben keine Lust mehr und nehmen gleich das erste Hotel. Es ist auch das einzige, wie wir bei der Weiterfahrt am nächsten Morgen feststellen. Lassen uns im schattigen Garten nieder und den obligatorischen Tee schmecken. Zum Essen bestellen wir mal wieder Omelette Berber. Es kommt aber ein ganz normales Eieromelette. Auf unsere Frage, warum das Omelette so heiße, antwortet unser Kellner, weil der Koch, näm­lich er selbst, Berber sei. Wir schauen wahrscheinlich ein wenig verdutzt. Insge­samt ist das Hotel nach unseren Erlebnissen des Vortages in Ordnung, aber man geht hier ziemlich lustlos zu Werke. Gegen halb elf aufs Zimmer, wir haben ein In­nenzimmer, es hat noch 33 Grad. Wir lassen Tür und Gangfenster offen für ein bisschen Zug, aber es hilft nicht wirklich. Wieder schlecht geschlafen. Auch den anderen Gästen ging es nicht viel besser, wie ein morgendlicher Rundgang zeigt. Auch dort stehen die Zimmertüren und Fenster offen, zum Teil haben sie die Matratzen aus dem Bett genommen und liegen direkt beim Fenster auf dem Bo­den.

die zwei Türme

die zwei Türme

 

nach dem Tizi n`Tazazert

nach dem Tizi n`Tazazert

das "Matterhorn" vom Jbel Sahrho

das "Matterhorn" vom Jbel Sahrho

wo ist der richtige Weg??

wo ist der richtige Weg??

der Draa ist endlich erreicht

der Draa ist endlich erreicht!

 

Mittwoch 6.6. 67 Km, 190 Hm

Temperatur morgens um 6 Uhr im Schlafzimmer: 32 Grad Celsius. Da ist man froh, wenn man aufstehen darf. Eine kalte Dusche hilft auch nur kurz. Um halb zehn rollen wir los zur letzten Etappe. Heute geht’s nur noch das Drâa-Tal ent­lang. Unser Freund, der Gegenwind ist auch schon wieder da. Das Tal wieder eng besiedelt und intensiv landwirtschaftlich genutzt. Weil hier die Felder grö­ßer sind, lohnen sich Maschinen wie die „Super Istanbul“. Ansonsten wieder viel Gemüse unter den Palmen. Wir rollen gemütlich dahin, Sitz- und Motivati­onsprobleme. Ginge die Radtour jetzt noch weiter, wäre erst einmal ein Ruhetag fällig. Machen zweimal Teepause, beim zweiten Mal in einem schönen Riad. Laut dort herumliegendem Riad-Katalog inclusive Preisliste zahlen wir in Mar­rakesch deutlich überdurchschnittlich. Endlich erreichen wir Zagora und rollen, auf der Suche nach einem guten Hotel durch die Stadt. Außerdem suchen wir das bekannte Schild, das in die Sahara verweist mit der Bemerkung, Timbuktu 52 Tagesreisen. Wir finden beides am Ortsende und dazu einen Händler, der alle bekannten Sprachen dieser Welt spricht, auch fotografieren kann und uns nach harten Ver­handlungen noch vier Djelabas verkauft. Mit ihm kommen wir dann ins Ge­spräch und vereinbaren für den Abend noch eine Autotour bis zu den ersten großen Sanddünen südlich der Stadt. Unser Hotel hat Klimaanlage, die wir erst einmal voll aufdrehen sowie einen Swimmingpool, den wir ebenfalls in An­spruch nehmen. Am Spätnachmittag brechen wir dann im R 4 zu unserer Dü­nentour auf. Zu viert, zwei Führer – der eine der Vetter unseres Verkäufers, der andere sein Kumpel und der Besitzer des Autos. Lassen uns aufklären, dass es in Marokko insgesamt fünf Volksgruppen gibt, die Araber, die Berber, die Tua­reg, die Beduinen und die Nomaden. Aber sie vertragen sich offensichtlich gut, unser Führer, der ziemlich schwarz ist, sagt, er habe eine Tuaregmutter und ei­nen Berbervater. Überhaupt geht es in Marokko allem Anschein nach überwiegend friedlich zu. Wir haben auf unserer ganzen Tour so gut wie keine Polizei und kein Militär getroffen und die paar, die wir gesehen haben, waren in der Regel nicht sichtbar bewaffnet. Und trotzdem oder gerade deshalb nie das Gefühl der Unsicherheit.

Donnerstag 7.6.

Heute steht uns ein Bustag bevor. Noch einmal Afrika, wie man es sich vorstellt. Inschallah! Es beginnt schon mit einer halben Stunde Verspätung, weil einer keine Fahrkarte hat, aber nicht aussteigen will. Woher der Kontrolleur das schon vor der Abfahrt weiß, ist mir ein Rätsel, in der Regel kontrolliert er erst während der Fahrt. Der ältere Mann hat offensichtlich nicht genug Geld für die Fahrkarte. Nach endlosen Diskussionen darf er sitzen bleiben und es geht los. Bei den Bus­begleitern gibt es eine strenge Hierarchie. Der Boss ist der Fahrer, so gut wie immer ein gestandener Mann in den Vierzigern oder Fünfzigern, auch in den großen LKW´s ist das so. Der Kontrolleur ist dann jünger, so zwischen Mitte Zwanzig und Dreißig. Er verkauft auch die Fahrkarten für die Zusteigenden und hat das Geld bei sich. Dessen Assistent wiederum ist noch mal zehn Jahre jünger und muss sich ums Gepäck kümmern und dass die Ein- und Ausstiege unter­wegs zügig vonstatten gehen. Wenn auf den leichteren Teilstücken unterwegs der Fahrer eine Pause macht, dann rücken die beiden anderen jeweils eine Stufe auf. Wohl um zu üben. Was auch notwendig ist! Der Kontrolleur würgt unter dem Gelächter der Passagiere gleich beim Anfahren den Bus ab und der Assis­tent hat später Probleme mit seiner Buchhaltung. Auch nach dreimaligem Durchzählen stimmen Anzahl der Passagiere, Strichliste und Geld nicht überein. So ist wenigstens für Abwechslung gesorgt auf der neunstündigen Busfahrt. An den Busbahnhöfen kommen dann noch ein paar Hierarchiestufen dazu. Hier zeigt sich, dass jeder, der es in eine Busbesatzung geschafft hat, schon zur Hautevol­lee gehört und am Bahnhof keinen Finger rührt, sondern nur kommandiert. Hier gibt es wieder separate Helfer, die fürs Be- und Entladen und die sonstigen Dienste zuständig sind und die offensichtlich nur oder überwiegend vom Trink­geld leben. Dann gibt es noch die Fahrkartenverkäufer, mobil oder hinter einem Schalter, die Lotsen, die einen sofort beim Eintritt ansprechen und zum richtigen Schalter begleiten und natürlich den Bahnhofsvorstand, der uns jedes Mal streng des Bahnhofs verweist, weil Fahrräder hier drin nichts zu suchen haben. Nicht zu vergessen die Jungs, die Kaugummi und einzelne Zigaretten verkaufen. In Marrakesch kommen dann noch die Platzreservierer dazu, die ihre Arbeit auch in halbleeren Bussen verrichten und die Wasser- und Gebäckverkäufer, die kurz vor der Abfahrt mit ihren Tabletts durch den Bus laufen. Und als letztes dann, wenn der Bus fast schon anfährt, die Bettler, die vorne einsteigen, einmal durch den Bus laufen und hinten wieder aussteigen – oder noch einmal durchlaufen, wenn es zu wenig gab. Und alle Beteiligten ertragen das ganze mit einer Seelen­ruhe. Später kommt die Autorität unseres Assistenten dann noch mal ins Strau­cheln. Als der Bus zwischendurch so voll ist, dass viele stehen müssen, werden zwei freiwerdende Sitze blitzschnell von zwei stehenden Jugendlichen besetzt, obwohl unser Assistent sie offenbar bereits zwei anderen, älteren Passagieren versprochen hatte. Es kommt wieder zu langen, erregten Diskussionen mit dem Ergebnis dass die beiden nicht aufstehen und der Kontrolleur aufgibt. In Deutschland würde spätestens jetzt mit dem Stoppen des ganzen Busses und der Polizei gedroht. Mit den paar anderen Touristen im Bus kommt man schnell ins Gespräch, egal ob auf Englisch oder Französisch. Erstaunlich ist die Blindheit mancher Touristen. So erklärt uns ein Engländer, dass er jetzt seit zwei Wochen mit dem Rucksack per Bus durch Marokko reise, es ihm aber ein Rätsel sei, wovon die Einheimischen sich hier ernähren würden. Würde er genauer hinschauen, könnte er die intensive Nutzung der Flusstäler und den Anbau von Getreide und Gemüse unter den Palmen problemlos erkennen. Schwieriger ist es mit den Einheimischen, die keine Fremdsprache  sprechen. Aber wenn man so lange ne­beneinander sitzt, ist man irgendwann soweit, nach der Phase des Anlächelns, dass man sich wenigstens die Namen der großen europäischen Fußballclubs und –spieler gegenseitig aufzählt und der jeweils Andere anerkennend dazu nickt. Insgesamt wird die neunstündige Reise gegliedert durch drei zwanzigminütige Pausen, ei­nen Tankstopp und unzählige Halte auf der Strecke. Wir beschließen in Marrakesch zuerst einen ruhi­gen Abend daheim in unserem Riad, Albrecht gönnt sich eine Flasche marokka­nischen Weißweins zum Abendessen. Anschließend brechen wir dann doch noch zu einer nächtlichen Runde durch die Souks auf.

Freitag 8.6.

Wir verpacken in aller Ruhe unsere Räder und machen einen letzten Gang durch die Altstadt. Auf den letzten Drücker finden wir dann tatsächlich auch noch die Eisenbieger, schauen ihnen bei ihrer Arbeit zu und besorgen letzte Geschenke für die Daheimgebliebenen. Mit dem Geländewagen geht’s später zum Flughafen, die Räder auf dem Dach, gehalten von einer einzi­gen Wäscheleine. Wir schwitzen Blut und Wasser. Zu unserer unangenehmen Überraschung will Atlas Blue für den Rückflug auf einmal 25 Euro extra fürs Rad. Die können wir gerade noch zusammenkratzen. Problemloser Rückflug bei guter Sicht über Spanien und Frankreich; in Mulhouse steht der Flughafen nach einem schweren Gewitter teilweise unter Wasser, die Rolltreppen laufen nicht, es tropft von der Decke und die Gänge sind mit Riesenpfützen kaum passierbar. Europa begrüßt uns mit dem gleichen Wetter, mit dem es uns vor elf Tagen verabschiedet hat.

 

 

 
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